Glitzerfisch

Kinderbücher werden i.d.R. nicht für Kinder produziert, sondern für Erwachsene. Denn Erwachsene sind es, die diese Bücher kaufen. Daher werden bei Kinderbüchern oft in erster Linie die Erwartungen der Erwachsenen erfüllt, anstatt die der Kinder. Ganz schlimm bei “pädagogisch wertvollen” Büchern. Kindern ist das bis zu einem gewissen Alter fast egal. Hauptsache bunt, verständlich und unterhaltsam. Die Gefahren von Indoktrination sind Kindern nicht bewußt. Wie auch? Die gesamte Kindheit besteht aus Indoktrination.



Schlimm ist z.B. dieses Kinderbuch über diesem Glitzerfisch, der seine Schuppen abgeben soll. Der hat nämlich ganz viele buntschillernde Schuppen, die im Dunkeln leuchten. Und er ist auch ein bisschen größer als die anderen Fische. Da denkt man doch sofort: Aha, wohl zu nah am Muroroa-Atoll vorbei geschwommen. Aber egal. Jedenfalls wird dieser Glitzerfisch von einem kleineren Fisch gefragt, ob er ihm eine von seinen Schuppen abgibt. Nun mag die Antwort vom Glitzerfisch etwas arrogant rüber gekommen sein, eventuell etwas harsch, jedenfalls war sie ablehnend. Das hat den kleine Fisch ganz, ganz traurig gemacht, heul, heul, und die anderen Fische hatten Mitleid und meinten so, ja das war voll gemein von dem bösen Glitzerfisch, und haben diesen dann geghostet. Da wurde es aber einsam um den Glitzerfisch; keine Bewunderung mehr, schade, schade. Da nützen die schönen Schuppen auch nicht mehr viel. Und er wurde dann ganz traurig. So wie der kleine Fisch, und irgendwie waren dann alle ganz traurig und zum Teil wütend. Und dann ist der Glitzerfisch auf die anderen Fische zu geschwommen, und hat mit denen seine Schuppen geteilt. Riesenparty und alle waren glücklich, jubel, jubel.



Wirklich? Die ganze Story ist doch auf so vielen Ebenen falsch! Ich meine, ich verstehe die Botschaft. Teilen macht Freude und Freunde. Da habe ich erst mal keine Einwände. Aber Kinder sind doch nicht bescheuert! Der Plot hat doch Lücken! Der offensichtlich strahlenverseuchte Glitzerfisch ist beispielsweise mit seinen auffälligen Leuchtschuppen ein ideales Opfer für Fressfeinde! Der sollte sehen, dass er die Schuppen los wird. Und warum wollen seine Kumpels die auffälligen Schuppen denn unbedingt? Sind die dumm? Und was ist das denn für ein kranker Twist, jemanden zu fragen, ob man Teile dessen Körpers rausrupfen, und sich selbst anpinnen darf? Ich sage doch auch nicht bei einer attraktiv manikürten Frau: Oh wie schön! Darf ich dir einen Fingernagel raußreißen und ihn mir mit Spucke ankleben? Das wäre doch mindestens respektlos. Und von dem Mobbing der anderen Fische fange ich mal gar nicht erst an. Der Glitzerfisch kann schließlich nichts dafür, dass er schöne Schuppen hat und die anderen nicht. Und dass die mit ihrem Mobbing am Ende zum Erfolg kommen, dass man am Besten einknickt, wenn man eine Mehrheit gegen sich hat, dass man einfach einen Teil seiner Identität und Individualität aufgeben muss, um von anderen akzeptiert und respektiert zu werden, das scheint mir auf den ersten Blick pädagogisch jetzt auch nicht so wertvoll.



Was ist denn, wenn sich der Glitzerfisch an seinen ganzen Schuppenstummeln eine Infektion holt, und nach ein paar Tagen mit dem Bauch nach oben schwimmt. Und wie lange die abgestorbenen Schuppen noch hübsch in in den Schuppenkleidern der anderen Fische funkeln, steht auch in den Sternen. Das gammelt doch mit der Zeit weg! Wem ist denn dann geholfen?



Ich pitche mal “Glitzerfisch 2 - The Rise of the Glitter”: Glitzerfisch treibt aufgrund allgemeiner Schwäche und der Infektion seiner Schuppenstummel siechend langsam an die Meeresoberfläche, wird aber aus dem Meer gefischt, und zwar von einem Meeresbiologen auf einem Forschungsschiff, der den Glitzerfisch im letzen Moment das Leben rettet, und auch seinem Geheimnis auf die Spur kommt: Big Glitzi hat tatsächlich irgendwann, irgendwo eine zu hohe Strahlendosis abbekommen. Leider hat sich sein Organismus dadurch insofern verändert, dass er auf die Strahlung jetzt angewiesen ist, um fit zu bleiben. Die Mehresbiologin (besser eine Frau besetzen; support feminism!) setzt ihn daher erneut radioaktiver Strahlung aus (versunkenes russisches Uboot, oder so). Leider übertreibt sie dabei ein wenig. Der Glitzerfisch wird noch ein bisschen größer, seine Leuchtschuppen wachsen strahlender als je zuvor nach, er verfügt über Superkräfte und kann über Wasser atmen. Er kämpft sich dank seiner neuen Fähigkeiten irgendwie aus seiner “Gefangenschaft”, wie er seine Rettung jetzt empfindet, und geht über Bord weg von der attraktiven rothaarigen Meeresbiologin zurück ins Meer. Was will er da? Ist doch klar. Seine neuen Superkräfte treffen auf ein untrainiertes Aggressionspotential. Der will Rache an den Mobbern. Schlussblende.



So etwas würden Kinder kaufen! Und dann auf Teil 3 warten: “Glitzerfisch 3 - The Return of the Glitter”